— Anzeige —

Meinungen

2/23 Lesedauer: min

Stimmungsbild zum EU Artificial Intelligence Act

Künstliche Intelligenz (KI) soll nach dem Willen der EU-Politiker strengeren Regel unterworfen werden. Dazu legten die Abgeordneten des EU-Parlaments nun ihre Position für den sogenannten EU Artificial Intelligence Act fest.

Bild: Shutterstock / Ascannio

Warnungen, wie gefährlich eine unkontrollierte Künstliche Intelligenz werden könnte, gibt es mittlerweile viele. Und wer denkt bei diesem Thema nicht gleich an HAL9000 aus dem Film "2001: Odysse im Weltraum"? Der Supercomputer zeigt mehr und mehr ein neurotisches Verhalten und versucht letztendlich sogar, die Besatzung seines Raumschiffs auszuschalten.

So weit sind wir in der Realität zum Glück noch nicht - und werden es hoffentlich auch nie sein. Aber seit der Veröffentlichung von ChatGPT im Herbst vergangenen Jahres ist das Thema Künstliche Intelligenz in aller Munde. Der von OpenAI entwickelte Chatbot, eine sogenannte generative Künstliche Intelligenz, gilt als Meilenstein. Und das Thema KI ist damit auch bei weniger Technikaffinen angekommen. So erstellen mit ChatGPT auch Laien Software-Code oder Gedichte.

Und das ist erst der Anfang: Künstliche Intelligenz wird in den kommenden Jahren tiefgreifende Folgen für die Menschheit haben. Wie so vieles im Leben hat jedoch auch Künstliche Intelligenz ihre zwei Seiten und bringt nicht nur Positives, sondern auch Risiken. Da stellt sich schnell die Frage: Wie lässt sich eine Künstliche Intelligenz bändigen und so kontrollieren, dass sie nur für positive Zwecke genutzt wird?

KI an der kurzen Leine

Weltweiter Vorreiter bei der Regulierung von Künstlicher Intelligenz ist aktuell die Europäische Union. Sie arbeitet bereits seit Längerem an einem Gesetzesvorhaben zur KI-Regulierung, dem sogenannten EU Artificial Intelligence Act. Mitte Juni legten die EU-Parlamentarier nun ihre Position für die nun anstehenden Verhandlungen mit den einzelnen EU-Ländern fest. Die Position wurde mit 499 zu 28 Stimmen bei 93 Enthaltungen angenommen.

Einige der Forderungen der EU-Politiker: Biometrische Gesichtserkennung soll nur nachträglich nach einer richterlichen Entscheidung und zur Aufklärung schwerer Verbrechen erlaubt sein. Und ebenfalls nicht erlaubt sein sollen KI-Systeme, die Menschen nach ihrem sozialen Verhalten oder ethnischen Merkmalen klassifizieren.

Das verwundert es nicht, dass die geplanten, weitreichenden EU-Regulierungen für die Künstliche Intelligenz zu kontroversen Diskussionen führen. Auch innerhalb der Politik: Während der CDU-Europapolitiker Axel Voss nach einem Bericht des "Südwestrundfunks" die geplante EU-weite KI-Regulierung für "ein Stück weit angstgetrieben" hält, sieht das Alexandra Geese von den Grünen laut dem "Spiegel" ganz anders: Es sei "richtig, dass auch die Anbieter von großen generativen Modellen wie ChatGPT in die Pflicht genommen werden." Das dürfe nicht auf die kleineren Unternehmen abgewälzt werden, die diese Modelle als Grundlage für eigene Entwicklungen nutzen, so Geese weiter.

Forschung und Industrie reagieren ebenfalls skeptisch auf die Pläne der EU. Man fürchtet, dass eine übermäßige Regulierung der Künstlichen Intelligenz die Entwicklung in diesem Bereich in Deutschland und Europa behindere.

Der EU AI Act soll ab Anfang 2026 Anwendung finden. Es ist also davon auszugehen, dass es bis zur endgültigen Umsetzung jedoch noch zu einigen Diskussionen kommen wird.

Kontroverse Meinungen aus Deutschland

Die Abstimmung im EU-Parlament hat also zahlreiche Reaktionen in Politik und Wirtschaft provoziert. Wir haben die Kernaussagen wichtiger Stellungnahmen zusammengefasst. Im Folgenden finden Sie Stellungnahmen unter anderem des Digitalverbandes Bitkom und des KI-Bundesverbands sowie aus der Politik. Sie werden sehr ausführlich zitiert, um den Argumentationsgang nachvollziehbar zu machen.

Achim Berg, ehemaliger Präsident des Digitalverbands Bitkom (Bild: Bitkom)
"Der AI Act darf kein KI-Verhinderungs-Act werden, er muss ein KI-Beschleunigungs-Act werden."

"Grundsätzlich sollten die EU und die Mitgliedstaaten nicht nur abstrakte Regeln schaffen, sondern auch die richtigen Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Entwicklung von KI und für eine praxisnahe Umsetzung der Regulierung. Zur Umsetzung des AI Acts braucht man Aufsichts- und Marktüberwachungsstrukturen ebenso wie Reallabore als Experimentier-Räume, die Unternehmen helfen, die Regulierung praxisnah und pragmatisch umzusetzen. Wir dürfen denen, die KI in Europa voranbringen wollen, keine Steine in den Weg legen. Der AI Act darf kein KI-Verhinderungs-Act werden, er muss ein KI-Beschleunigungs-Act werden. Ziel muss sein, dass die Menschen und Unternehmen in der EU die Vorteile von KI erleben und umfassend nutzen können."

Achim Berg, ehemaliger Präsident des Digitalverbands Bitkom

Nadine Schön, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Bild: Tobias Koch)
"Die Bundesregierung darf keine Überregulierung zulassen. Wir brauchen auch in Europa genügend Raum für die Entwicklung generativer KI, denn dort liegen besonders hohe Innovationspotenziale und damit Lösungen für gegenwärtige und künftige Herausforderungen."

"Im nun startenden Trilog wird es darauf ankommen, weiter auf Innovationsoffenheit und Augenmaß zu drängen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Interesse der deutschen KI-Unternehmen aktiv in den Trilog einzubringen, damit innovationsoffene, eindeutige und in der Praxis umsetzbare Regeln für die Entwickler und Anbieter von KI geschaffen werden. Die Bundesregierung darf keine Überregulierung zulassen. Wir brauchen auch in Europa genügend Raum für die Entwicklung generativer KI, denn dort liegen besonders hohe Innovationspotenziale und damit Lösungen für gegenwärtige und künftige Herausforderungen - im Energiebereich ebenso wie in Gesundheit und Mobilität. Aktuell stammen 90 Prozent der großen Foundation Models, also Basismodelle von KI, eben nicht aus Europa. Um in Deutschland und Europa in diesem Bereich den internationalen Anschluss nicht vollständig zu verpassen, müssen wir maßvoll regulieren. Nicht alle Risiken von Entwicklungen sind vorhersehbar, deshalb muss die Risikobeurteilung immer auf die konkrete Anwendung gerichtet sein."

Nadine Schön, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Jörg Bienert, Vorstandsvorsitzender KI Bundesverband und CPO der Alexander Thamm GmbH (Bild: Alexander Thamm)
"Der AI Act könnte nahezu jede Art von fortgeschrittener Software erfassen, so zum Beispiel auch regelbasierte Tabellenkalkulationsprogramme. Die Folge wäre eine pauschale Technologieregulierung, die KI-Innovationen in Europa langfristig gefährdet beziehungsweise im Keim ersticken würde."
— Anzeige —

"Wird an dieser Definition in den Trilogverhandlungen festgehalten, könnte der AI Act nahezu jede Art von fortgeschrittener Software erfassen, so zum Beispiel auch regelbasierte Tabellenkalkulationsprogramme. Die Folge wäre eine pauschale Technologieregulierung, die KI-Innovationen in Europa langfristig gefährdet beziehungsweise im Keim ersticken würde. (...) Eine derart pauschale Einstufung in die Hochrisikokategorie ist weder für das europäische KI-Ökosystem noch für die europäische Wirtschaft im Gesamten förderlich. Im Gegenteil, solche Ansätze gefährden die technologische Souveränität Europas und werden aufgrund unverhältnismäßiger Anforderungen, Innovation und Know-how aus Europa vertreiben."

Jörg Bienert, Vorstandsvorsitzender KI Bundesverband und CPO der Alexander Thamm GmbH

Dirk Freytag, Präsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) (Bild: BVDW)
„Der EU sollte daran gelegen sein, mögliche globale Initiativen im Sinne des europäischen Werte- und Ethik-Kanons zu gestalten. Dies gilt insbesondere mit Blick auf eine mögliche internationale Aufsicht.“

"Als Bundesverband Digitale Wirtschaft unterstützen wir das Vorhaben der Europäischen Union, klare Regeln für die Entwicklung und Anwendung in Europa und darüber hinaus zu erarbeiten. Gleichzeitig warnen wir davor, bereits jetzt Doppel- und Mehrfachstrukturen zu schaffen, die unsere Mitgliedsunternehmen von großen Digitalplattformen über Kreativagenturen bis zu Publishern belasten. Forderungen nach nationalen Bestrebungen wie einem KI-Register lehnen wir deshalb zum jetzigen Zeitpunkt ab. Vielmehr sollte der EU daran gelegen sein, mögliche globale Initiativen im Sinne des europäischen Werte- und Ethik-Kanons zu gestalten. Dies gilt insbesondere mit Blick auf eine mögliche internationale Aufsicht. (...) Künstliche Intelligenz entfaltet zum einen eine hohe disruptive Kraft und ist gleichzeitig ein hoch emotionales Thema. Diese Kombination birgt Sprengstoff für das europäische Vorhaben, globale Standards zu setzen, wenn sich die Politik in kleinteiligen Details verliert. Stattdessen braucht es einen rechtlichen Rahmen, der ein übergeordnetes Framework schafft, das eine sektorspezifische Betrachtung ermöglicht und gleichzeitig die kommenden Entwicklungen antizipieren kann."

Dirk Freytag, Präsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW)

Maximilian Funke-Kaiser, digitalpolitischer Sprecher der FDP Bundestagsfraktion (Bild: Maximilian Funke-Kaiser/Dominik Konrad)
"Das EU-Parlament sendet heute ein starkes Signal für den KI-Standort Europa mit seiner Position zur KI-Verordnung."

"Das EU-Parlament sendet heute ein starkes Signal für den KI-Standort Europa mit seiner Position zur KI-Verordnung. Eine pauschale Einstufung in die Hochrisiko-Kategorie von Allgemeinzweck-KI sowie KI-Basismodellen ist gemäß der Position des EU-Parlaments nicht vorgesehen. Wir brauchen bei Entwicklung und Nutzung Künstlicher Intelligenz praxistaugliche Lösungen mit Fokus auf Qualitätsstandards. Das ist essenziell für die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft Europas und Deutschlands. Darüber hinaus erweitern wir die Möglichkeiten zur Erprobung innovativer KI-Systeme im Rahmen von Reallaboren und stärken insbesondere kleine und mittlere Unternehmen."

Maximilian Funke-Kaiser, digitalpolitischer Sprecher der FDP Bundestagsfraktion

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) (Bild: VDA)
"Mit dem vorliegenden Entwurf droht sich Europa im bürokratischen Klein-Klein zu verlieren und die heimische Industrie in einem global verschärften Wettbewerb auszubremsen."

"Künstliche Intelligenz ist für die Unternehmen der Automobilindustrie eine Schlüsseltechnologie. Dass die europäische Politik einen sicheren Rechtsrahmen für den Einsatz von KI in Europa schaffen will, ist daher zu begrüßen. Allerdings sollten die Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten, die Künstliche Intelligenz bietet, im Gesetzgebungsverfahren deutlich stärker Berücksichtigung finden. Mit dem vorliegenden Entwurf droht sich Europa im bürokratischen Klein-Klein zu verlieren und die heimische Industrie in einem global verschärften Wettbewerb auszubremsen. Mit den vom VDA vorgeschlagenen Änderungen am vorliegenden Entwurf lässt sich eine sichere Anwendung von KI im Automobil mit agiler und innovativer Weiterentwicklung der Technologie verbinden."

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA)

— Anzeige —

Konstantin Pfliegl

Redakteur
Konstantin Pfliegl ist Redakteur der Schwesterzeitschriften com! professional (Deutschland) und Computerworld (Schweiz). Er verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung als Journalist für verschiedene Print- und Online-Medien.