Bitkom-Studie
Die Digitalisierung in Deutschland stockt
Der internationale Wettbewerb verschärft sich durch die Digitalisierung, aber noch haben viele deutsche Unternehmen Schwierigkeiten, Schritt zu halten, sagt eine Studie von Bitkom-Research. Und auch die Regierung kommt mit der Digitalisierung der Verwaltungen nur langsam voran, obwohl in letzter Zeit etwas mehr Tempo zu beobachten ist, konstatiert der „Monitor Digitalpolitik“ des Digitalverbandes Bitkom.
Für seinen Status-Bericht überprüft Bitkom regelmäßig den Umsetzungsstand von 146 Projekten aus der Digitalstrategie, von 186 digitalpolitischen Projekten aus dem Koalitionsvertrag sowie zweier weiterer digitalpolitischer Vorhaben, die die Bundesregierung nachträglich aufgesetzt hat. Diese in Summe 334 Digitalvorhaben werden dabei auf ihre Bedeutung für die Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat hin untersucht und hinsichtlich ihrer Komplexität eingeordnet.
Zwischenzeugnis für die Regierung
Die Bundesregierung hat im ersten Quartal des Jahres 2024 bei der Umsetzung ihrer digitalpolitischen Vorhaben an Tempo zugelegt. So wurden insgesamt 31 Vorhaben umgesetzt, so viele wie in bislang keinem Quartal in dieser Legislaturperiode. Die Zahl der noch nicht begonnenen Vorhaben ist um 10 auf 38 gesunken, 205 Vorhaben befinden sich aktuell in Umsetzung.
Das zeigt die neueste Auswertung des „Monitor Digitalpolitik“ des Bitkom. Er wurde im August 2023, zum ersten Jahrestag der Digitalstrategie, erstmals veröffentlicht und wird quartalsweise auf den neuesten Stand gebracht. Demnach könnte die Bundesregierung lediglich 82 Prozent ihrer Vorhaben bis zum Ende der Legislaturperiode umsetzen, wenn sie ihre Digitalprojekte im nun vorgelegten Tempo des ersten Quartals 2024 weiter vorantreibt.
Geht es in der Durchschnittsgeschwindigkeit der bisherigen Legislatur weiter, würden bis September 2025 nur 60 Prozent der digitalpolitischen Vorhaben abgeschlossen sein. Um vor den nächsten Bundestagswahlen alle 334 Vorhaben ins Ziel zu bringen, müssten noch insgesamt 243 Vorhaben in 18 Monaten umgesetzt werden.
„Die Bundesregierung ist mit Schwung in das Digitaljahr 2024 gestartet. Mit diesem Elan sollte die Bundesregierung jetzt auch die besonders komplexen und zentralen Vorhaben angehen“, fordert Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst. So gehe es etwa bei digitalen Identitäten, der Digitalisierung der Verwaltung oder dem Digitalbudget kaum voran. Wie der „Monitor Digitalpolitik“ zeigt, handelt es sich bei vielen der im vergangenen Quartal umgesetzten Vorhaben um kleinere Maßnahmen oder planmäßig laufende Forschungs- und Förderprogramme.
Zu den bedeutenden Digitalprojekten, die im letzten Quartal umgesetzt wurden, zählen insbesondere zwei Projekte von Gesundheitsminister Karl Lauterbach: das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Hinzu kommen das Weiterbildungsportal ‚mein NOW‘ aus dem Bundesarbeitsministerium und die Strategie für internationale Digitalpolitik des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr.
„Die Bundesregierung ist mit Schwung in das Digitaljahr 2024 gestartet.“
Das Zugpferd Digitalwirtschaft wird häufig ausgebremst
Ein gemischtes Bild zeigt auch der Blick auf den Stand der Digitalisierung in der Wirtschaft. Die allermeisten Unternehmen wissen, dass sich der internationale Wettbewerb sich durch die Digitalisierung verschärft, dennoch haben viele deutsche Firmen Schwierigkeiten, damit Schritt zu halten, wie eine Studie von Bitkom Research belegt. Jeweils 7 von 10 Unternehmen spüren, dass durch die Digitalisierung Wettbewerber aus der IT- und Internet-Branche (69 Prozent) sowie aus anderen Bereichen (70 Prozent) auf ihren Markt drängen. Gleichzeitig berichtet knapp die Hälfte (48 Prozent) der Unternehmen von Problemen bei der Digitalisierung, 2023 waren es nur 39 Prozent. Das sind Ergebnisse einer Befragung von 606 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.
Rund 70 Prozent der Unternehmen sind der Meinung, dass sie es durch die Digitalisierung mit Konkurrenten aus anderen Branchen bzw. der IT- und Internet-Branche zu tun bekommen.
Zugleich haben 9 von 10 Unternehmen (91 Prozent) eine Digitalstrategie, ebenfalls 9 von 10 (93 Prozent) setzen aktuell zumindest in einzelnen Bereichen Digitalprojekte um und mehr als jedes Dritte (37 Prozent) sieht sich sogar als Vorreiter bei der Digitalisierung. „Wir sehen in vielen Unternehmen verstärkte Bemühungen, die Digitalisierung voranzutreiben. Zu oft bleiben sie aber bei Diskussionen stehen und kommen noch nicht in die Umsetzung. Erfolgreiche Digitalisierung braucht Wissen und Werkzeuge“, erklärt Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst.
Die Digitalbranche zeigt sich zum Ende des ersten Quartals wieder optimistischer. Die aktuelle Geschäftslage der IT- und Telekommunikationsunternehmen liegt mit 15,5 Punkten 1,2 Zähler über dem Februar-Wert. Das ist der erste Anstieg im Monatsvergleich seit Juli 2023. Die Geschäftserwartungen für den weiteren Jahresverlauf haben sich im Vergleich zum Februar noch deutlicher verbessert, von -10,2 auf -2,2 Punkte. Das zeigt der aktuelle Bitkom-ifo-Digitalindex.
Der Index bildet die aktuelle Geschäftslage und die Geschäftserwartungen für die kommenden drei Monate ab und berechnet daraus das Geschäftsklima. Die Systematik entspricht jener des ifo-Index für die Gesamtwirtschaft. Der Bitkom-ifo-Digitalindex steigt im März um 4,8 Punkte auf nun 6,4 Punkte. „Trotz der weiterhin angespannten Weltlage und der gesamtwirtschaftlichen Eintrübung entwickelt sich die Bitkom-Branche stabil. Die Unternehmen der Digitalbranche können sich in einem herausfordernden Umfeld behaupten und erweisen sich als konjunkturelle Stütze der deutschen Wirtschaft“, freut sich Bitkom-Präsident Wintergerst.
Im Vergleich mit der Gesamtwirtschaft ist die Digitalbranche deutlich zuversichtlicher. So weist das ifo-Institut für die Gesamtwirtschaft eine Geschäftslage von nur 0,6 Punkten aus, die Geschäftserwartungen rangieren mit -16,4 Punkten deutlich im Minus, Auch der ifo-Index für das Geschäftsklima liegt mit -8,1 Punkten weiter im negativen Bereich und deutlich unter dem Vergleichswert der Digitalbranche
Bitkom-Geschäftsklima-Index: Die Geschäftslage hat sich im März im Vergleich zum Vormonat verbessert– erstmals seit Juli 2023.
Rahmenbedingungen setzen Hürden
Das Geschäftsklima könnte aber noch sehr viel besser sein, wenn die Rahmenbedingungen nicht von Hürden und Problemen bestimmt wären. Die große Mehrheit der Unternehmen jedenfalls beklagt, dass äußere Rahmenbedingungen ihre Digitalisierung ausbremsen. Dazu gehören gestiegene Energiekosten (98 Prozent), fehlende Wachstumsdynamik (97 Prozent), die Unterbrechung von Lieferketten (97 Prozent) sowie die Inflation und das hohe Zinsniveau (je 96 Prozent). Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirkt sich in 60 Prozent der Unternehmen negativ auf die Digitalisierung aus. Aber auch die Politik der Bundesregierung (97 Prozent) und die der eigenen Landesregierung (84 Prozent) bremsen die Digitalisierung in der Mehrheit der Unternehmen.
Beim Blick auf die Investitionen in die Digitalisierung ergibt sich ein gespaltenes Bild. So wollen 7 Prozent deutlich mehr in die Digitalisierung investieren als noch 2023 und 14 Prozent etwas mehr. Rund die Hälfte (48 Prozent) will die Investitionen in unveränderter Höhe fortführen. Aber 18 Prozent planen eher weniger für die Digitalisierung auszugeben, 12 Prozent sogar deutlich weniger.
„Das Bürokratieentlastungsgesetz (…) verpasst die Chance für einen echten Befreiungsschlag.“
Bitkom-Geschäftsführer Bernd Rohleder macht seine Kritik beispielhaft an dem im Koalitionsvertrag angekündigten Verzicht auf die Generalklausel bei den Schriftformerfordernissen fest. „Dabei ist der Zwang zu händischer Unterschrift und Papier eines der größten Hemmnisse einer konsequenten Digitalisierung,“, kritisiert Rohleder. Das bedeute zum Beispiel, dass Arbeitgeber bei einer Gehaltserhöhung aufgrund einer neuen Betriebsvereinbarung ihre Beschäftigten weiter schriftlich auf Papier informieren müssten. Und da, wo digitale Unterschriften grundsätzlich akzeptiert werden, würden unnötige technologische Hürden aufgebaut. So sei etwa bei Arbeitsverträgen ausschließlich die sogenannte qualifizierte elektronische Signatur zulässig, was insbesondere kleinere Unternehmen oder Startups vor hohe Hürden stelle.
Große Bedeutung von Daten und KI
Praktisch alle Unternehmen (98 Prozent) sehen eine große Bedeutung von Datenanalysen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, aber nur 37 Prozent der Unternehmen nutzen Big Data bereits, immerhin 48 Prozent diskutieren darüber oder planen den Einsatz. Dem Internet of Things (IoT) messen 93 Prozent eine große Bedeutung zu, aber nur 30 Prozent nutzen es, 54 Prozent sind in der Diskussions- oder Planungsphase. Bei 5G sehen 92 Prozent eine große Bedeutung, 29 Prozent nutzen die Technologie, 47 Prozent diskutieren darüber oder planen den Einsatz.
Auch bei Robotik sowie autonomen Fahrzeugen sieht das Bild ähnlich aus. Am geringsten fällt die Diskrepanz zwischen allgemeiner Einschätzung und Umsetzung im Unternehmen bei Virtual und Augmented Reality aus: Hier sehen 60 Prozent der Unternehmen eine große Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit. 29 Prozent nutzen die Technologie, 31 Prozent planen oder diskutieren den Einsatz.
Den Aussagen der Unternehmen zufolge hat Künstliche Intelligenz für 82 Prozent zwar eine große Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit, aber gerade einmal 13 Prozent setzen sie bereits ein, 33 Prozent planen es oder diskutieren noch darüber. Noch geringer verbreitet in den deutschen Unternehmen ist die Blockchain-Technologie, der 70 Prozent eine große Bedeutung zusprechen, die aber gerade einmal 3 Prozent nutzen und 23 Prozent planen oder diskutieren. Das Metaverse halten zwar 44 Prozent für bedeutend, aber jeweils nur 2 Prozent nutzen die Technologie beziehungsweise planen oder diskutieren ihren Einsatz. Und Quantencomputern sprechen 51 Prozent eine große Bedeutung zu, aber praktisch kein Unternehmen nutzt die Technologie oder ist bereits in der Planungs- oder Diskussionsphase.
Digitalisierung ist als strategische Aufgabe erkannt...
Wer bei der Digitalisierung nicht vorankommt, könnte künftig vor größeren Schwierigkeiten stehen, warnt der Bitkom. Denn bei einer deutlichen Mehrheit von 57 Prozent der Unternehmen verändert sich infolge der Digitalisierung das Geschäftsmodell. Doch 24 Prozent der Unternehmen fällt die Entwicklung digitaler Produkte und Dienstleistungen eher schwer und ebenso vielen sogar sehr schwer. Umgekehrt sagen nur 16 Prozent, dass ihnen die Entwicklung eher leicht fällt und sogar gerade einmal 4 Prozent, dass sie ihnen sehr leicht fällt.
Immerhin geht die große Mehrheit der Unternehmen laut der Bitkom-Studie die Digitalisierung inzwischen strategisch an. Nur noch 7 Prozent haben keine Strategie zur Bewältigung des digitalen Wandels. Im vergangenen Jahr waren es noch 11 Prozent, 2019 sogar 26 Prozent. Rund jedes dritte Unternehmen (31 Prozent) hat inzwischen eine unternehmensweite Digitalstrategie entwickelt, 60 Prozent haben sie zumindest in einzelnen Unternehmensbereichen.
Die große Mehrheit der Unternehmen arbeitet den Bitkom-Zahlen zufolge aktuell in verschiedenen Unternehmensbereichen an Digitalisierungsprojekten. Ganz oben stehen dabei Kundenservice (in 44 Prozent der Unternehmen) und Logistik (43 Prozent). Dahinter folgen Verkauf (37 Prozent) und Buchhaltung (36 Prozent). Rund jedes vierte Unternehmen hat Digitalprojekte in der Produktion (27 Prozent), im Marketing (24 Prozent) oder in der Produktentwicklung (23 Prozent). Jedes fünfte (20 Prozent) hat ein solches Projekt im Controlling, nur 17 Prozent im Personalwesen. Nur in 7 Prozent der Unternehmen ist die Digitalisierung in keinem dieser Unternehmensbereiche Thema.
Getrieben werden die Digitalisierungsprojekte oft von der Unternehmensspitze. In mehr als der Hälfte der Unternehmen (54 Prozent) bringen Vorstand oder Geschäftsführung die Digitalisierungsprojekte voran. Knapp dahinter folgt die IT-Abteilung (47 Prozent). In 10 Prozent der Unternehmen liegt die Verantwortung beim Chief Digital Officer (CDO) oder einer „Leitung Digitalisierung“, in 7 Prozent bei den Verantwortlichen für Unternehmensentwicklung. Aber in jedem neunten Unternehmen (11 Prozent) kommt die Digitalisierung von der Basis. Dort sind einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Digitalisierungs-Treiber.
...hat aber immer noch mit großen Hindernissen zu kämpfen
Datenschutz, Fachkräftemangel und fehlende Zeit bremsen die Digitalisierung: Die Hürden, vor denen die Unternehmen bei der Digitalisierung stehen, sind zuletzt gewachsen. Am häufigsten genannt werden Anforderungen an den Datenschutz (83 Prozent, 2023: 77 Prozent), der Mangel an Fachkräften (78 Prozent, 2023: 64 Prozent) sowie fehlende Zeit im Alltagsgeschäft (69 Prozent, 2023: 54 Prozent). Etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen beklagt zudem fehlende finanzielle Mittel (59 Prozent, 2023: 54 Prozent) und die Anforderungen an die technische Sicherheit (52 Prozent, 2023: 54 Prozent).
Daneben nennen viele Unternehmen langwierige Entscheidungsprozesse im eigenen Unternehmen (41 Prozent), fehlende Verfügbarkeit marktfähiger Lösungen (40 Prozent), mangelnde Risikobereitschaft im Unternehmen (35 Prozent), fehlenden Austausch mit anderen Unternehmen (29 Prozent), mangelndes Wissen über Best-Practice (23 Prozent) sowie mangelnde Bereitschaft in der Belegschaft (14 Prozent) als Digitalisierungshürden.
Dagegen ist die Unsicherheit über den wirtschaftlichen Nutzen (6 Prozent) kaum ein Digitalisierungs-Hemmnis.