Trends & Analyse
Grüner Anspruch in Unternehmen
Es ist ein Thema, das uns alle angeht und mittlerweile auch in den Chefetagen der Unternehmen angekommen ist: Nachhaltigkeit. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Unternehmen ein nachhaltiges, umweltverträgliches und verantwortungsvolles Image propagiert.
Ein grünes Image gehört heute einfach dazu. Etwa jedes zweite Unternehmen beschäftigt sich laut dem Institut für deutsche Wirtschaft intensiv mit dem ökologischen Wandel.
"Nachhaltigkeit ist einer der wichtigsten Schlüssel für die Gesellschaft der Zukunft", so Christian Hoffmeister, CIO beim Systemhaus Green IT. "In Zeiten der Digitalisierung ist dies ein immens wichtiger Ansatzpunkt in Bezug auf Kosten und Umweltschutz. Nachhaltigkeit muss in der IT etabliert werden, und zwar in Form von ressourcenschonenden und skalierbaren Lösungskonzepten für den digitalen Büroalltag."
Ähnlich sieht es Yelle Lieder: "Nachhaltigkeit sollte inzwischen zum unternehmerischen Selbstverständnis gehören." Es sei ein Hygienefaktor wie Sicherheit oder Barrierefreiheit und es gehe um den Erhalt einer lebenswerten Umwelt, zu dem alle einen Teil beitragen sollten, ergänzt der Consultant für Technologie und Nachhaltigkeit beim IT-Dienstleister adesso. Dass die IT-Nachhaltigkeit von großer Bedeutung ist und "Unternehmen sozialen und ökologischen Verpflichtungen gerecht werden müssen, um langfristig erfolgreich zu sein", bestätigt auch Mathias Dürner, Teamleader Client Solutions beim IT-Dienstleister Cancom.
Das ist natürlich erst einmal eine gute Nachricht. Doch gerade in der Informationstechnologie ist das gar nicht so einfach. Einerseits kann moderne Technologie helfen, zum Beispiel den Energie- und Rohstoffverbrauch zu senken. Andererseits ist die IT auch ein großer Teil des Problems. So nimmt der Energiebedarf der Rechenzentren immer weiter zu. Mit 17,9 Milliarden Kilowattstunden verbrauchten die Rechenzentren in Deutschland im vergangenen Jahr fast eine Milliarde Kilowattstunden mehr als noch im Jahr 2021, wie das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit errechnet hat.
Die IT ist in Sachen Nachhaltigkeit also ziemlich ambivalent: Einerseits spart man damit zum Beispiel viele Ressourcen, indem man für Besprechungen nicht mehr quer durchs Land reisen und sich stattdessen virtuell zu einer Videokonferenz trifft. Auf der anderen Seite liegen Daten heutzutage zu einem großen Teil in der Cloud. Die vielen großen Rechenzentren dafür müssen aber auch zunächst gebaut werden und verbrauchen dann, wie oben erwähnt, ordentlich Strom für Betrieb und Klimatisierung.
"Digitalisierung ermöglicht die Optimierung von Prozessen, erhöht die Transparenz und sorgt an vielen Stellen auch für mehr Nachhaltigkeit", erläutert Moritz Röder. Dem Associate Director Supply Chain Management & Sustainability bei Lufthansa Industry Solutions zufolge gehe die wachsende IT-Kapazität seit Jahren mit einem steigenden Energiebedarf einher, „der sich deutlich in den CO2-Emissionen niederschlägt.“ Unternehmen sollten sich daher mit der Entwicklung und dem Betrieb ihrer Business-Anwendungen auseinanderzusetzen, um deren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern.
Unter dem Buzzword Green IT versuchen zahlreiche Akteure in der IT, durch diverse Maßnahmen die Produktion, den Betrieb und die Entsorgung von IT-Geräten und Dienstleistungen umweltverträglich und ressourcenschonend zu gestalten. Dazu gehören Maßnahmen zur Verlängerung des Lebenszyklus, die Optimierung der Wiederverwertbarkeit sowie ein verbessertes Abfallmanagement. Hier spricht man auch von einer modernen Kreislaufwirtschaft.
Doch: Zusätzliche Einsparungen seien laut Moritz Röder allerdings nur mit einer sauberen Datenbasis und einer geeigneten Strategie möglich, in der klar definierte Ziele auch umgesetzt werden. "Ohne ein effizientes Datenmanagement, das auf den Einsatz eines Analyse-Tools und möglichst weitgehende Automatisierung setzt, ist die Aufgabe nicht zu bewältigen."
"Nachhaltigkeit wird mittelfristig weniger etwas, wodurch man sich positiv von Mitbewerbern abgrenzt, sondern Unternehmen fallen vor allem auf, wenn sie nicht nachhaltig agieren."
Nachhaltigkeit als Muss
Bei all den Bestrebungen der Unternehmen rund um den Klimaschutz muss man natürlich auch bedenken, dass dieser in vielen Fällen nicht von den Betrieben selbst kommt, sondern gesetzlich auferlegt ist oder von den Kunden eingefordert wird: Ob Anforderungen vom Kapitalmarkt (ESG-Ratings, EU-Taxonomie), gesetzliche Anforderungen wie die vom EU-Parlament verabschiedete Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), sich wandelnde Anforderungen durch Kunden, Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibungen oder im Kontext der Employer Brand: Nachhaltigkeit ist ein entscheidender Faktor.
Doch viele Unternehmen haben erkannt, dass Nachhaltigkeit letztendlich doch weit mehr ist als eine gesetzliche Notwendigkeit: Sie ist auch ein wirtschaftlich relevanter Faktor. So ist beispielsweise in Zeiten hoher Kosten Energieeffizienz für viele Unternehmen vor allem auch ein ökonomischer Hebel: LED-Leuchten, energetische Sanierungen, das Schließen von Druckluft-Leckagen sowie Strom aus erneuerbaren Energien schaffen Einsparpotenziale. Gleichzeitig profitieren Unternehmen auch ökologisch, denn die Maßnahmen reduzieren die CO2-Emissionen.
Die häufig vorherrschende Meinung, dass nachhaltige Konzepte teuer seien, treffen laut Christian Hoffmeister von Green IT nicht zu. "Für Unternehmen ist es nicht teurer, wenn sie auf nachhaltige Konzepte umsteigen, anstatt bei herkömmlichen zu bleiben. Im Gegenteil: Grundsätzlich sind die Implementierungskosten für die Green-IT-Lösungen nicht höher als andere, vergleichbare Systeme." Diese herkömmlichen Systeme würden ihm zufolge allerdings weniger bis keine Vorteile bei der Reduktion von Kosten für Strom und Betriebsmittel bringen. "Unternehmen mit grüner IT profitieren von einem Konzept mit Dreifachnutzen: Reduktion der Kosten, Verbesserung der technischen Infrastruktur und Entlastung der Umwelt. Dabei liegt der Fokus stets auf Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Innovation."
"Die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit beeinflusst bereits wesentlich die Wahrnehmung von Unternehmen durch Kunden und Stakeholder, was sich wiederum auf ihren wirtschaftlichen Erfolg auswirkt", betont Moritz Röder von Lufthansa Industry Solutions. Kunden und Investoren würden genau prüfen, ob ein Unternehmen lediglich oberflächlich Nachhaltigkeit betreibt oder ob Nachhaltigkeit tatsächlich integraler Bestandteil seiner Strategie und Unternehmenskultur ist, bevor sie Kauf- oder Anlageentscheidungen treffen.
Nach Ansicht von Yelle Lieder wird in Zukunft jedes Unternehmen gewisse Nachhaltigkeitskriterien erfüllen müssen. "Nachhaltigkeit wird mittelfristig also weniger etwas, wodurch man sich positiv von Mitbewerbern abgrenzt, sondern Unternehmen fallen vor allem auf, wenn sie nicht nachhaltig agieren." An die grundlegenden Spielregeln jedenfalls hätten sich alle zu halten. Positiv auffallen werden Lieder zufolge in Zukunft also primär jene Unternehmen, die absolute Nachhaltigkeits-Spitzenreiter in ihrer Branche sind.
Mathias Dürner von Cancom ergänzt, dass Nachhaltigkeit in Unternehmen auch Vorteile in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit bietet und einen langfristigen Erfolg in einer zunehmend nachhaltigkeitsbewussten Welt ermöglicht. Neben der Senkung von Kosten, der Image- Verbesserung "eröffnen sich Zugänge zu Märkten, die nachhaltigkeitsorientierte Anforderungen haben, was das Marktpotenzial erweitert", so Dürner.
Nachhaltige IT in der Praxis
Eine nachhaltige IT durchdringt alle Bereiche des Unternehmens und bringt zahlreiche Vorteile. Um diese in die Praxis umzusetzen, müssen sich Unternehmen viele Fragen stellen – und Herausforderungen meistern. Laut den Experten von PricewaterhouseCoopers sollten sich Unternehmen folgende Fragen im Vorfeld stellen:
- Wie können wir den Energieverbrauch und die Stromkosten relativ senken, obwohl die Nutzung von stromintensiven Geräten und Anwendungen stetig steigt?
- Wie können wir unsere IT-Infrastruktur und (externe) Datencenter optimieren, um nachhaltige Senkungen zu erzielen?
- Wie können wir die Nutzung und Auslastung von Infrastruktur und Anwendungen inklusive der Ablaufprozesse nachhaltig optimieren?
- Wie können wir Software nachhaltig erstellen und beschaffen, um mit den dynamischen Anforderungen des Business mitzuwachsen?
- Wie kann die Digitalisierung des Arbeitsplatzes dazu beitragen, ressourcenschonender zu arbeiten?
- Wie können wir durch Technologie eine nachhaltige Entwicklung der Zufriedenheit der Belegschaft fördern, bei der Gesundheit, Vielfalt und Inklusion im Vordergrund stehen?
- Wie lässt sich über IT die Zusammenarbeit mit dem Business stärken, um durch Prozesse und Tools die Innovationskraft für nachhaltige Produkte und Services zu fördern?
- Wie kann IT zu einer umweltfreundlichen Firma sowie hochwertigeren Produkten beitragen, die den Erwartungen der Millennials und Generation Z gerecht werden?
Folgende Herausforderungen kommen bei einer nachhaltigen IT-Transformation auf den CIO zu:
- Der digitale Arbeitsplatz, der mobiles Arbeiten ermöglicht, ist durch die Corona-Pandemie unabdingbar geworden. Digital-Workplace-Trends wie Fernarbeit und mobiles Arbeiten haben oftmals aber noch keinen ausreichenden Reifegrad erlangt.
- Im Büro und der Produktion existieren viele papier- und energieintensive Arbeitsabläufe.
- Die bestehende IT-Governance unterstützt eine weitere Transformation Richtung Nachhaltigkeit oft nur unzureichend.
- Vertragliche und technische Lock-in Effekte erschweren einen Wechsel zu umweltfreundlicheren Anbietern und Technologien.
- Rechtliche Aspekte und Gesetzgebung verschärfen sich kontinuierlich und werden oft als Risiko und nicht als Chance wahrgenommen.
- Unternehmensinterne Ansätze sind häufig von Regulatorik, Effizienzdruck und CO2-Einsparungen getrieben. Nachhaltige Wertschöpfung erfordert aber ein gänzlich neues Mindset.
- Die Erwartungen des internen Kunden sowie des Endkunden steigen stetig und sie sehen die Unternehmen in der Pflicht, aktiv voranzugehen.
Status quo in Deutschland
Doch wie sieht das in der IT in der Praxis aus? Die Studie "IT & Sustainability in Deutschland 2023" der Marktforscher und Berater von IDC förderte zutage: Lediglich knapp ein Drittel der Unternehmen in Deutschland hat eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie für ihre IT, bei der Initiativen und Maßnahmen langfristig aufgesetzt, Ziele streng definiert und sämtliche Unternehmens- und Wertschöpfungsprozesse sowie die IT eingebunden sind. Und der Antrieb für eine solche Nachhaltigkeitsstrategie ist anscheinend weniger der Umweltschutz, sondern der Geldbeutel: Zu den Haupttreibern gehören mit 30 Prozent Kostensenkungen und mit 20 Prozent Effizienzsteigerungen.
Stattdessen setzt die Mehrheit der Unternehmen anstatt auf ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategien auf kurzfristige und schnell umsetzbare Ziele: Reduzierung von Abfall (60 Prozent) und Senkung des Energieverbrauchs (57 Prozent).
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der aktuelle "Reifegradindex IT & Sustainability 2023" von PAC und Lufthansa Industry Solutions. Die Studie zeigt, dass gesetzliche Vorgaben zwar der größte Treiber für Investitionen in Nachhaltigkeit sind. Aber auch unabhängig von regulatorischen Verpflichtungen erstellt die Hälfte der Unternehmen heute bereits einen Nachhaltigkeitsbericht, weil ihnen das Thema wichtig ist. Das dürfe jedoch laut Moritz Röder nicht darüber hinwegtäuschen, "dass die Unternehmen noch immer hohe Hürden überwinden müssen, um diese Aufgabe zu bewältigen":
- Vier von fünf Unternehmen (80 Prozent) bemängeln die Datenqualität
- Der Hälfte fehlt die geeignete Datenbasis
- Zwei von drei Unternehmen sorgen sich um die Datensouveränität
- Für mehr als zwei Drittel (68 Prozent) ist zudem die Zusammenführung heterogener Daten ein Problem
Quelle: IDC, Studie "IT & Sustainability in Deutschland 2023", Juni 2023 / n=210, maximal drei Nennungen möglich
In Deutschland beginnen viele Unternehmen also gerade erst, die Relevanz einer Nachhaltigkeit für sich zu entdecken. Speziell Geschäftsbereiche, in denen ein großer Teil der Wertschöpfung IT-gestützt entsteht, müssen sich früher oder später auch fragen, wie die IT auf ihre Nachhaltigkeitsziele einzahlen kann. Immer mehr Verantwortliche erkennen, dass relevantes Einsparungspotenzial von negativen Umweltauswirkungen in der IT steckt, welches sich mit vertretbarem Aufwand umsetzten lässt.
"Der Aufbau einer nachhaltigen IT steckt voller Quick-Wins, es können also mit geringen Investitionen relativ große Verbesserungen erzielt werden", fasst Yelle Lieder von adesso zusammen. "Relative Verbesserungen, weil die Umweltauswirkungen der IT in absoluten Zahlen verglichen mit anderen Geschäftsbereichen natürlich eher gering ausfallen. Dennoch sind wir überzeugt, dass alle ihren Beitrag leisten werden und es entsprechend auch Tools benötigt, die der IT helfen, ihren Footprint zu verstehen und zu reduzieren."
Doch ein Umsetzen einer Nachhaltigkeitsstrategie ist oftmals gar nicht so einfach. Die Kultur ist neben der Datenlage eine der größten Herausforderungen in vielen Organisationen. Nur wenn Mitarbeiter in ihren täglichen Entscheidungen die Umweltauswirkungen abwägen, kann eine echte Nachhaltigkeitstransformation im Unternehmen stattfinden. Zukünftig müsse es zum Beispiel laut Yelle Lieder für Software Engineers genauso normal sein, ihre Anwendungen auf die ökologische Nachhaltigkeit hin zu testen, wie es heute mit Usability- oder Performance-Tests der Fall sei.
Digitalisierung versus Sustainability
Unternehmen stehen in vielen Fällen jedoch erst einmal vor einem Dilemma: Einerseits soll möglichst viel digitalisiert werden, und andererseits steigen damit die benötigte Rechenleistung und der CO2-Ausstoß. Die Herausforderung: Den Spagat zwischen digitaler Transformation und Nachhaltigkeit meistern.
"Auf den ersten Blick scheinen Nachhaltigkeit und Digitalisierung gegensätzlich", pflichtet Christian Hoffmeister bei. Doch tatsächlich gehörten sie sehr eng zusammen. "Denn neben der Performanz und Sicherheit der technischen Infrastruktur gewinnen die Aspekte der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit für viele zukunftsgerichtete Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Daher kommen diese immer öfter mit gezielten Anfragen in puncto Nachhaltigkeit auf ihre IT-Dienstleister zu."
Der Spagat zwischen digitaler Transformation und Nachhaltigkeit kann nach Ansicht von Mathias Dürner von Cancom bewältigt werden, indem man die beiden Ziele miteinander in Einklang bringt. "Insgesamt sollten digitale Transformation und Nachhaltigkeit als komplementäre Ziele betrachtet werden, die zusammenarbeiten, um sowohl positive ökologische als auch geschäftliche Auswirkungen zu erzielen." Dies eröffne die Möglichkeit, innovative Lösungen zu entwickeln, die nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch die Umweltauswirkungen minimieren, "was langfristig sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich vorteilhaft ist".
"Durch eine steigende horizontale und vertikale Durchdringung, steigende Nutzungsintensitäten und höhere Komplexitäten der Anwendungsfälle werden die Umweltauswirkungen der IT über die nächsten Jahre weiter steigen, wenn wir nichts an unseren Praktiken ändern", so die deutliche Prognose von Yelle Lieder. Dabei gehe es explizit nicht nur um Treibhausgasemissionen, "sondern auch um andere Wirkkategorien wie beispielsweise Ökotoxizität oder den Wasserfußabdruck, welche ebenfalls drastische negative Umweltauswirkungen verursachen, aktuell jedoch noch viel zu selten betrachtet werden." Er ist jedoch davon überzeugt, dass die IT vor allem das Potenzial hat, die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele zu begünstigen. Die Voraussetzung dafür sei jedoch ein Umdenken in der Industrie, denn die Nutzung von IT für die Nachhaltigkeit lasse sich nicht ohne nachhaltige IT umsetzen. "Und hier wiederum kann nur verbessert werden, was wir objektiv, reproduzierbar und ganzheitlich messen können."
"Für Unternehmen ist es nicht teurer, wenn sie auf nachhaltige Konzepte umsteigen, anstatt bei herkömmlichen zu bleiben."
Der IT-Sektor ist inzwischen für zwei bis vier Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Insbesondere der Betrieb der Hardware, die Produktion, der Transport und die Entsorgung sorgen für diese Werte. Dabei wird der Hardware-Bedarf künftig noch weiter steigen. Gleichzeitig rechnen Experten in den kommenden Jahren mit immer weniger Effizienzanstiegen bei der Hardware.
"Die Halbleiterindustrie kommt an ihre physikalischen Grenzen", erklärt Moritz Röder. Der steigende Bedarf an Rechenleistung lasse sich somit schlechter kompensieren. Hinzu komme die in jüngster Zeit verschärften Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit, etwa im Hinblick auf Regulatorik und Kundenanforderungen. Unternehmen müssten davon ausgehen, dass sich der Handlungsdruck kurz- bis mittelfristig deutlich erhöht. Sein Appell: "Wir müssen also zwingend einen Weg finden, möglichst effizient mit bereits bestehenden Technologien umzugehen." Diese Rolle könne "Greening of IT" einnehmen - eine effiziente und damit nachhaltige IT basiert auf den drei Säulen IT-Architektur, Software-Design und Software-Entwicklung. "Damit die IT ihren ökologischen Beitrag leisten kann, müssen diese drei Bereiche von der Entwicklung bis zum Betrieb aufeinander abgestimmt sein."
Eine modulare IT-Architektur, ein auf Ressourceneffizienz optimiertes Design und die Wahl der Programmiersprache ergeben große Effizienzpotenziale hinsichtlich Ressourcenverbrauch, erhöhen die Auslastung und verbessern die dynamische Skalierbarkeit bei sich verändernden Geschäftsanforderungen. So haben Röder zufolge zum Beispiel neuere Programmiersprachen wie Go und Rust deutlich geringere Ressourcenanforderungen als etwa Java. Aus diesem Grund habe zum Beispiel die Lufthansa Industry Solutions die Software-Entwicklung im sogenannten transaktionalen Bereich von Java auf Go umgestellt. Bei der Wahl des Betriebssystems werde auf leichtgewichtige Linux-Implementierungen zurückgegriffen. "Insgesamt lassen sich so bis zu 95 Prozent des Speicherplatzes einsparen", so Moritz Röder.
"Insgesamt sollten digitale Transformation und Nachhaltigkeit als komplementäre Ziele betrachtet werden, die zusammenarbeiten, um sowohl positive ökologische als auch geschäftliche Auswirkungen zu erzielen."
Doch Nachhaltigkeit beginnt laut Christian Hoffmeister von Green IT bereits bei der bedarfsgerechten Beschaffung von Technik wie Computer, Monitor, Drucker und weiterer Hardware. "In der Praxis seien viele Geräte für die tatsächliche Nutzung überproportioniert: Kompakte Mini-PCs und auch Thin Clients, bei denen die eigentliche Rechenleistung und der Software-Zugriff auf zentrale, externe Server ausgelagert wird, sind für den häufigsten Einsatzzweck im Büro - Office- und Internet-Anwendungen - absolut ausreichend", so seine Erfahrung. "Sie senken den Energieverbrauch im Vergleich zu unnötig leistungshungrigen PCs oder Macs um satte 40 bis 70 Prozent."
Ein weiterer Punkt bei der Hardware-Beschaffung sind verschiedene Zertifikate, Energielabel und Ökosiegel, welche durch die Ausweisung der Energieeffizienz eine sinnvolle Orientierung bieten. Das bekannteste Label dürfte das EU-Energielabel sein, das mit einer farbigen Effizienzskala von A bis G die tatsächliche Leistungsaufnahme und weitere Kriterien von Elektrogeräten ausweist. Das verpflichtende Label wurde 2021 überarbeitet und soll nach und nach auf alle Elektrogeräteklassen ausgeweitet werden. Das EU-Umweltzeichen legt den Schwerpunkt auf der gesamtheitlichen Umweltfreundlichkeit von Elektrogeräten einschließlich einer gesundheitlichen Risikobewertung. So werden beispielsweise Laserdrucker entsprechend ihrer Feinstaubemission bewertet.
Aus den USA stammt das international weit verbreitete Umweltlabel Energy Star. Da die Labelnutzung seitens der Hersteller jedoch ohne angemessene unabhängige Prüfung möglich ist, sei der Energy Star hierzulande zumindest umstritten, erklärt Christian Hoffmeister. Ein besserer Indikator sei neben den beiden EU-Labels das Umweltzertifikat "Der Blaue Engel", das Verbrauchsmaterial wie Papier, aber auch Elektrogeräte nach Umweltverträglichkeits-Kriterien wie Recyclingfähigkeit und möglicher Nutzungsdauer auszeichnet.
Cloud versus eigenes Data Center
Immer mehr Unternehmen lagern Ihre Daten und Anwendungen in die Cloud aus. Damit sparen sie sich zwar das eigene Rechenzentrum im Unternehmenskeller - doch viele Experten halten die Cloud für einen großen Klimakiller.
Rund 95 Prozent der Emissionen der gängigen Cloud-Provider sind im sogenannten Scope 3, sprich in der Lieferkette angesiedelt, erklärt Yello Lieder. "Das Argument der höheren Energieeffizienz der darunter liegenden Hardware stimmt also auf Zahlenbasis, lenkt jedoch von einem deutlich schwerwiegenderen Problem ab - den ökologischen Herstellungskosten für die Hardware." Zwar verspreche das Cloud-Geschäftsmodell eine höhere und damit aus Perspektive der Energieeffizienz optimale Auslastung, den Beweis, dass die Auslastung wirklich so viel höher ist, blieben die Provider jedoch noch schuldig. "Solange zudem kein 24/7-Matching der erneuerbaren Energien stattfindet, was bisher nur in wenigen Regionen umgesetzt wird, bringen uns auch Claims zur Klimaneutralität der Rechenzentren nicht weiter." Grundsätzlich biete es sich ihm zufolge für Unternehmen aus Gründen der Nachhaltigkeit mutmaßlich jedoch an, die Cloud zu nutzen: "Die Kombination von besserer Auslastung, höherer Power Usage Effektiveness der Rechenzentren, Power Purchase Agreements für erneuerbare Energie und der hohen Effizienzgewinne durch Cloud-Native-Lösungen sprechen als Argumente dafür."
Unternehmen stehen nun vor der Aufgabe sicherzustellen, dass eine Cloud-Lösung nachhaltig ist. Doch: "Das ist zum jetzigen Stand nicht objektiv möglich", so die klare Meinung von Yelle Lieder. "Zwar gibt es Anekdoten, welche die Cloud als nachhaltiger einordnen, wirklich belastbare und unabhängige Zahlen über den gesamten Lebenszyklus von Anwendungen gibt es dazu jedoch nicht."
"Digitalisierung ermöglicht die Optimierung von Prozessen, erhöht die Transparenz und sorgt an vielen Stellen auch für mehr Nachhaltigkeit."
Kreislaufwirtschaft: Reduce, Reuse, Recycle
Ein in Bezug auf Nachhaltigkeit häufig verwendetes Stichwort ist die Kreislaufwirtschaft. Der Dreiklang von Reduce, Reuse, Recycle beschreibt relativ gut, worum es im Kern geht.
"Die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) ist ein Konzept, bei dem Produkte und Materialien so gestaltet und genutzt werden, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus recycelt, wiederverwendet oder auf andere Weise in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden", wie Mathias Dürner zusammenfasst. Das Ziel sei die Minimierung von Abfall, die Schonung von Ressourcen und die Reduzierung der Umweltauswirkungen.
Am Beispiel der IT-Hardware heißt das laut Yelle Lieder, im Zweifel den Lebenszyklus eines Servers zu verlängern, indem die Software abwärtskompatibel entwickelt wird, um auch auf älterer Hardware noch eine gute Figur zu machen. Die darunter liegende Hardware könne so länger verwendet werden, es falle also weniger Elektroschrott an und die Anschaffung neuer Hardware könne länger aufgeschoben werden - "die Umweltkosten für die Herstellung des neuen Geräts werden vermieden." Analog sollte IT-Hardware natürlich wiederverwendet werden, was in der Regel durch den Zwischenschritt der Wiederaufbereitung ermöglicht werde. "Insbesondere für das Recycling haben wir in Deutschlang einen guten rechtlichen Rahmen. Es ist gesetzlich verboten, IT-Hardware einfach im Restmüll zu entsorgen, wobei rund 10 Prozent aller Unternehmen dies einer Studie des Bitkom zufolge immer noch tun."
Der klassische Kauf von Geräten habe damit aber nicht ausgedient, sei aber, nach Ansicht von Mathias Drüner, in Bezug auf Nachhaltigkeit oft weniger vorteilhaft als andere Modelle wie Miete, Leasing oder Refurbishing. Die Wahl hängt also - wie in so vielen Bereichen der IT - von den individuellen Zielen des Unternehmens und den Nachhaltigkeitszielen ab.
Fazit & Ausblick
Es ist zu erwarten, dass Grüne IT in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnt. Dies beinhaltet die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien, energieeffizientere Hardware und Software, den Ausbau von Kreislaufwirtschaftspraktiken und das verstärkte Engagement der IT-Branche für Nachhaltigkeitsziele. Zudem könnten weitere rechtliche Vorschriften die Nachhaltigkeit in der IT-Branche fördern.
Die Kosten für Emissionsrechte werden durch strengere Umweltauflagen weiter steigen. Deshalb wird die Energieeffizienz von IT-Systemen für Unternehmen aller Branchen weiter an Bedeutung gewinnen. Dazu gehören sowohl die Verwendung energieeffizienter Hardware, die Optimierung von Software und Betriebssystemen als auch die Implementierung von Energiemanagement-Lösungen.
"Grundsätzlich eignet sich Green Coding für jede Art von Software. Denn bei jeder Zeile Code, insbesondere bei stark genutzter Software, können hier riesige Skalierungseffekte auftreten."
Interview: Green Coding - effiziente Software reduziert CO2
Herr Dr. Gredel, eine Möglichkeit für grüne IT ist das sogenannte Green Coding. Was genau steckt hinter diesem Begriff?
Green Coding sorgt für mehr Nachhaltigkeit im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung, da Software nachhaltiger und energieeffizienter entwickelt und auch betrieben wird. Drei Bereiche sollten in der Anwendungsentwicklung im Fokus stehen, damit sich das Optimierungspotenzial von Green Coding voll ausschöpfen lässt. Der erste Bereich betrifft die zum Einsatz kommende Infrastruktur oder Technologie-Plattform. Hier geht es insbesondere darum, Überdimensionierungen zu vermeiden, falsche Konfigurationen zu eliminieren und versteckte Infrastruktur nicht außer Acht zu lassen. Der zweite Bereich umfasst die Logik. Das bedeutet, dass beispielsweise ein nutzenorientierter visueller Inhalt schneller das zur Verfügung stellt, was gewünscht ist. Das steigert nicht nur die Zufriedenheit der Kunden, sondern spart zudem Zeit und Energie. Dazu zählt aber auch, bewusst einfachere Dateiformate, effiziente Schnittstellen und optimierte Bildpakete einzusetzen. Zudem gilt es, „toten“ Code konsequent aus der Anwendung zu entfernen und damit einen Zero-Waste-Code zu etablieren. Der dritte Bereich betrifft die Methodik, die regelt, dass die Ergebnisse, die sich im Rahmen von Green-Coding-Projekten ergeben, auch organisationsübergreifend wiederverwertbar sind. Agile und schlanke Methoden bewähren sich hier. Sie werden von den Anwendern verstanden, sind nachvollbeziehbar und können damit die Anpassung von Software erleichtern und deren Effizienz erhöhen.
Green Coding soll Software ressourcenschonender machen. Über welche Dimensionen sprechen wir hier?
Die weltweit eingesetzte Software ist für 55 Prozent der durch IT verursachten Emissionen verantwortlich. Mittels Green Coding, also einer energieeffizienten Softwareentwicklung, lassen sich erhebliche CO2-Emissionen vermeiden. Der IT-Sektor ist momentan verantwortlich für vier Prozent des globalen Ausstoßes von Treibhausgasen und steigt jährlich um rund neun Prozent. Im Jahr 2040 könnten digitale Emissionen rund 14 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verursachen. Allein in Deutschland werden diese im Jahr 2030 für sechs Prozent des Gesamtausstoßes verantwortlich sein, soviel wie momentan die deutsche Stahlindustrie emittiert. Mit dem Grad der Digitalisierung werden immer größere Serverfarmen benötigt, die immer mehr Strom verbrauchen. Wir sollten aber auf keinen Fall die Software vergessen. Green IT, also der effiziente und sparsame Betrieb von Hardware und Rechenzentren, oftmals aus der Cloud, greift hier wesentlich zu kurz. Wir müssen das Potenzial von Green Coding heben und Programme und Systemcode optimieren, um unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Eignet sich Green Coding für jede Art von Software?
Grundsätzlich eignet sich Green Coding für jede Art von Software. Denn bei jeder Zeile Code, insbesondere bei stark genutzter Software, können hier riesige Skalierungseffekte auftreten. Und bei der Anwendungsentwicklung spielt wirklich jede einzelne Programmzeile eine Rolle. Reden wir von hochspezialisierten Anwendungen, die lediglich von wenigen Endanwendern genutzt werden, sind diese Auswirkungen weniger eindrucksvoll, einen Nutzen haben sie dennoch, auch wenn dieser im Verhältnis zum betriebenen Aufwand womöglich geringer ausfällt.
Das Konzept klingt gut: Software, die weniger Strom verbraucht. Aber hat Green Coding auch Nachteile?
Wenn Unternehmen dem Konzept des Green Coding nachgehen wollen, muss ihnen klar sein, dass sie sich zusätzliche Kriterien auferlegen und sich in bestimmten Bereichen einschränken und Kompromisse eingehen müssen. Um Programmcode nachhaltiger und energieeffizienter zu gestalten ist es notwendig auf unbequemere Programmiersprachen zurückzugreifen. Dabei ist zu klären, ob solches Know-how inhouse verfügbar ist. Oft unterstützen hier spezialisierte IT-Dienstleister, die IT-Experten in solchen Projekten vermitteln. Das alles kostet Zeit und ist nicht umsonst zu haben. Im günstigsten Fall allerdings führen aber gerade diese Kompromisse oder Reglementierungen zu den erforderlichen Einsparungen und unterstützen Unternehmen dabei, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. In Zeiten, in denen Manager Effizienz und Nachhaltigkeit fordern, doch Entwickler mehr Zeit und Ressourcen benötigen, um diese zu gewährleisten, ist dies kein leichtes Unterfangen.